GK
Ein regelmäßiger Anblick ist die Traube aus fünfzig grauen vor einem gelben Helm, der ihnen die nächsten Handgriffe erklärt. So muss täglich vor Arbeitsbeginn eine sogenannte „Starrt-Card“ ausgefüllt und beim Arbeitsschutz zur Unterschrift eingereicht werden. Der dazu gehörige Starrt-Talk soll alle Arbeiter auf die Besonderheiten und Gefahren ihrer unmittelbaren Arbeitsumgebung hinweisen. Es erinnert ein wenig daran, die Schuhe gebunden zu bekommen, bevor es raus zum Spielen geht. Angeblich ist das aber keine Übervorsicht, sondern Notwendigkeit, jedenfalls für die ungefähr zehntausend Hilfsarbeiter aus unter anderem Indien, Nepal und Zentralafrika. Die meisten von ihnen sind zum ersten Mal überhaupt auf einer Baustelle.
„GK“, englisch ausgesprochen, ist der Spitzname eines indischen Arbeitsschutzbeauftragten. Er ist für unseren Bereich zuständig und hat eigentlich einen langen Namen mit vielen Silben. Er lacht, als wir versuchen, diesen auszusprechen. „GK“ muss genügen.
Sein grüner Helm ist mit einer Vielzahl an Aufklebern übersäht. Sie zeigen an, wer zum Beispiel ein bestimmtes Training auf der Baustelle mitgemacht oder Zugang zu gesonderten Bereichen hat. GK trägt sie wie Rangabzeichen. Die grüne Farbe der Abteilung ES&H (Environment, Safety & Health) ist darunter nur noch schwer zu erkennen.
Wir sind als Supervisor eingesetzt, haben gelbe Helme, arbeiten jedoch handwerklich. GK steht vor uns und will nicht so recht verstehen, dass jemand sich die Hände schmutzig macht, obwohl er eine Ausbildung hat. Wir erklären, dass dies bei uns üblich sei. Daher halten wir es auch für unnötig, uns selbst eine „Starrt“-Einweisung zu geben. Er blickt uns verständnislos an und beharrt auf seinen Vorgaben. Hier wird zum ersten Mal deutlich, dass unsere Arbeitsmentalitäten sich stark voneinander unterscheiden. Diese Meinungsverschiedenheiten werden uns noch einige Steine in den Weg legen.
Die duale Berufsausbildung ist zwar im DACH-Gebiet und in Teilen Europas gängig, stellt aber international eine Ausnahme dar. In den meisten Ländern, in denen es Fachausbildungen gibt, finden diese rein schulisch oder rein praktisch statt. Das sorgt vor allem in diesem Fall für eine Barriere zwischen den Arbeitskräften. So kann der Supervisor den Arbeitern einen Vorgang zwar erklären, aber nicht praktisch zeigen. Andersherum fehlt den Arbeitern ein theoretischer Hintergrund, um eigenständiger agieren und Pläne umsetzen zu können. Die duale Ausbildung ermöglicht beides
Mit dem Kopf durch die Wand
Die Prozeduren rauben uns die Zeit. Für eine Tätigkeit, die ein paar Stunden dauert oder maximal einen Tag in Anspruch nimmt, benötigen wir eine ganze Reihe an schriftlichen Genehmigungen, bevor wir loslegen dürfen. Wir rennen von einem Bürocontainer zum nächsten, in der Hoffnung, endlich die Unterschrift für das „Method Statement“ zu bekommen. Darin erklären wir, dass wir nicht über zwei linke Hände verfügen und tatsächlich halbwegs wissen, was wir da vorhaben. Zum Glück konnte schon vorher eine „Material Inspection“ gemacht werden. Diese wird von einem Repräsentanten des Projektsteuerers durchgeführt, um sicherzustellen, dass es sich bei den Tanks tatsächlich um Tanks handelt. All das mag absurd klingen, kratzt aber eigentlich erst an der Oberfläche. Wir sind auf andere Gewerke und das Wohlwollen der Safety-Abteilung angewiesen. Damit wird für uns auch das zur Pflicht, was wir für überflüssig halten.
Mittlerweile wird es dunkel. Wir stoppen die Arbeit und schauen auf die Uhr. Heute haben wir nichts erreicht und die Soletanks haben sich keinen Millimeter bewegt. Für diese brauchen wir scheinbar auch noch einen sogenannten “Rigging Plan”. Eine schriftliche Erklärung, wann, wie, wo und mit welcher Hand und welchem Haken und Gurt genau angefasst, angehoben und was dabei bewegt wird. Eine Bedienungsanleitung sozusagen, der auch Laien folgen könnten.
Die Tanks liegen derweil immer noch im Sand, und es beschleicht uns das ungute Gefühl, dass wir erst den Anfang der Bürokratie und Stolpersteine gesehen haben. Klar ist, dass wir eine neue Strategie brauchen, bevor uns der Verwaltungsaufwand überrollt. Mit dem Büro in Deutschland besprechen wir die Eigenheiten der Baustelle und kommen zumindest zu einer vorläufigen Erkenntnis:
Das wird wohl länger dauern.